Städte nach strengen Mustern anzulegen, ist nichts Neues. Sogenannte Planstädte gibt es schon seit der Antike. Manche utopische Idealbilder einer zukünftigen Ortschaft wurden brillant umgesetzt, andere dagegen nicht. Einige entpuppten sich sogar als höllische Dystopien. Zum Beispiel die berüchtigte Kowloon Walled City in China, die von der Mafia heimgesuchte Stadt Le Vele di Scampia in Neapel oder die Welthauptstadt Germania der Nazis. Im Folgenden stellen wir Ihnen acht gescheiterte Vorzeigestädte vor.
Der ummauerte Stadtteil Kowloon Walled City war einst ein militärischer Außenposten. Als 1898 die Briten Territorien in der Sonderverwaltungszone Honkong pachteten, wurde die Walled City zu einer chinesischen Enklave. Der rund 2,6 Hektar große und nach Feng-Shui-Prinzipien angelegte Bezirk sollte ein harmonischer und wohlhabender Ort für die Bewohner sein. In Wirklichkeit aber entwickelte sich die utopische Vision einer Idealstadt zu einem chaotischen und verwahrlosten Slum-Monstrum.
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs und der japanischen Besatzung wollte China Kowloon Walled City in eine Modellstadt mit guter Infrastruktur, Schulen, Polizei und vielen Annehmlichkeiten mehr verwandeln. 1947 lebten dort 2.000 Menschen – zumeist Flüchtlinge, die gegen Ende der kommunistischen Revolution vom Festland einwanderten. Bis 1950 war ihre Zahl auf 17.000 angewachsen. Im selben Jahr brach ein katastrophales Feuer aus, das weite Teile der Barackensiedlung zerstörte.
Da sowohl die chinesischen als auch die britischen Behörden eine Politik der Zurückhaltung verfolgten, war das Gebiet eine Art rechtsfreier Raum für das organisierte Verbrechen. Chinesische Triadenbanden kontrollierten die Stadt, die in den 1950er-Jahren von Bordellen, Opiumhöhlen, Kasinos und anderen illegalen Geschäftspraktiken regelrecht überrollt wurde. Schnell strömten auch kriminelle Banden aus nah und fern nach Kowloon Walled City.
In den 1960er-Jahren setzte eine große Bauwelle ein. Riesige Betonklötze, die in Modulbauweise auf die bereits bestehenden Gebäude gesetzt wurden, erreichten eine Höhe von 14 Stockwerken. Ende der 1980er-Jahre lebten dicht an dicht rund 33.000 Menschen in der nur einen Block großen Stadt, was sie zu einem der am dichtest-besiedelten Orte auf dem Planeten machte. Die dunklen, labyrinthähnlichen Gänge waren von Stromkabeln und leckenden Rohren gefährlich durchzogen und auf den Dächern türmte sich der Müll.
Auch wenn es Menschen gab, die gern in der verwahrlosten Enklave lebten, einigten sich die chinesischen und britischen Behörden 1987 schließlich darauf, die Stadt dem Erdboden gleichzumachen. Die Bewohner wurden umgesiedelt, und die 300 miteinander verbundenen Gebäude bis 1994 abgerissen. Der einstige Brennpunkt der organisierten Kriminalität ist heute ein idyllischer Garten und einer der interessantesten Stadtparks in Hongkong.
Diese Science-Fiction-Kuriosität in der Sonoran-Wüste von Arizona liegt rund 100 Kilometer nördlich von Phoenix. Die Experimentalstadt wurde vom Architekten Paolo Soleri entworfen, dem Begründer der sogenannten Arkologie-Bewegung. Mit dem Bau von Arconsanti wollte der gebürtige Italiener die Verschmelzung von Architektur und Ökologie demonstrieren. Die Idee dabei war, eine kompakte, sich selbst erhaltende Megastruktur aus Beton zu schaffen, die 5.000 Menschen beherbergt und gleichzeitig mit der Natur im Einklang steht.
Soleri kaufte 1970 rund zehn Hektar Land und begann noch im selben Jahr mit dem Bau. Bis heute wurden lediglich fünf Prozent der geplanten Stadt fertiggestellt. Und das, obwohl das Konzept schon damals seiner Zeit weit voraus war. Allerdings konnte Solari nicht genügend Investoren für seinen Traum finden, der nach und nach zur Baustelle verkam. Das mag vielleicht auch daran gelegen haben, dass seine Version vom grünen Urbanismus einen umweltschädlichen Haken hat.
Zunächst einmal bestehen die etwa zehn miteinander verbundenen und mittlerweile baufälligen Gebäude aus einem Material, das als äußerst klimaschädlich gilt: Beton. Der amerikanische Architekt Mark English kritisiert außerdem die Lage von Arcosanti. Es gäbe keinen natürlichen Schatten, was den Komplex für das heiße Wüstenklima völlig ungeeignet mache.
Arcosanti sollte eigentlich autark sein. Nach wie vor sind die etwa 50 Einwohner aber auf Strom angewiesen und die für das Belüftungs- und Heizkonzept notwendigen Gewächshäuser immer noch nicht fertiggestellt. Abgesehen von einigen nicht einheimischen Pflanzen wird auf dem Gelände nichts angebaut – ein weiteres ökologisches No-Go. Zahlreiche Besucher haben die unheimliche Atmosphäre des Ortes bereits auf TripAdvisor kommentiert. So vergleicht ein Kritiker Arcosanti mit einer „postapokalyptischen Anlage für Sektenanhänger“.
Soleri zog in der Tat eine kultähnliche Anhängerschaft an. Seine bewundernde Fangemeinde, die teilweise sogar umsonst arbeitete, wusste er für den Bau der unvollendeten „Stadt“ einzusetzen. Als Denkmal für einen hervorragenden Architekten eignet sich Arcosanti aber nicht, sondern geht wohl eher als eine fehlgeleitete Vision von Paolo Soleri in die Geschichte der grünen Baukunst ein.
Le Vele di Scampia (zu Deutsch: die Segel von Scampia) war in den frühen 1960er-Jahren ein Projekt des sozialen Wohnungsbaus und sollte die Slums in einem Vorort von Neapel ersetzen. Für die sieben neuen Gebäude, die bis 1975 in Scampia errichtet wurden, ließ sich der lokale Architekt Franz di Salvo vom Wohnhaustyp „Unité d'Habitation“ des Schweizers Le Corbusier sowie vom ikonischen Gerüstdesign des Japaners Kenzo Tange inspirieren.
Einstige Gassen und Plätze der alten Stadt, in denen die Menschen zusammenkamen, sollten neugestaltet und Grünflächen geschaffen werden, um die Interaktion der Gemeinschaft weiter zu fördern. In den Wohnkomplexen mit ihrer segelartigen Form sollten Schulen, Dienstleistungsbereiche, Kirchen und andere Einrichtungen integriert werden.
Doch sah de Salvos idealistischer Plan von einem angenehm-kommunikativem Le Vele di Scampia nur auf dem Papier gut aus. Die Einrichtungen wurden gar nicht gebaut, Gehwege verengt und Gemeinschaftsräume in den Wohnkomplexen nicht berücksichtigt. Die Gebäude wurden so dicht zueinander gesetzt, dass nur wenig Tageslicht in die Wohnungen drang. In vielen Wohnungen fehlte es sogar an lebenswichtigen Dingen wie Strom und funktionierenden Toiletten.
Nach dem verheerenden Erdbeben in Süditalien 1980 strömten Tausende von obdachlos gewordenen Menschen nach Le Vele di Scampia und besetzten leerstehende Wohnungen. In den darauffolgenden Jahren verkamen die Gebäude in der ohnehin schon als Europas größtem Drogenumschlagplatz verschrienen Gegend. Rivalisierende Mafia-Banden nahmen das Zepter in den maroden Sozialbauten in die Hand.
Um der desaströsen sozialen Lage Herr zu werden, ließ die Stadt zwischen 1997 und 2003 drei der Gebäude abreißen. Trotzdem gehörten noch Mitte der 2000er-Jahre Morde und offener Drogenkonsum geradezu zur Tagesordnung. In dem Wohnkomplex wurden unter anderem Szenen des Spielfilms „Gomorrah – Reise in das Reich der Camorra“ gedreht, der sich mit den kriminellen Machenschaften der Familie Camorra auseinandersetzt. Drei der verbliebenen Bauten sollen noch abgerissen werden, der vierte wird zum Bürokomplex umfunktioniert.
2017 gewann die Google-Stadtplanungstochter Sidewalk Labs eine globale Ausschreibung von Waterfront Toronto – ein Zusammenschluss der Stadt Toronto, der Provinz Ontario und der kanadischen Regierung – zur Umgestaltung von Torontos östlicher Uferzone. Auf dem knapp fünf Hektar großen Gelände sollte eine futuristische und intelligente Mini-Stadt entstehen.
Die hypervernetzte Siedlung wurde als umweltverträgliche Utopie beworben, mit einer Vielzahl von ökologischen Merkmalen und technischen Errungenschaften mit Wow-Faktor. Zum Beispiel kohlenstoffneutrale Wolkenkratzer aus Holz, solarbeheizte Fahrradwege sowie ein unterirdisches Tunnelnetz, durch das eine Schar von Robotern Bestellungen ausliefert und 80 Prozent des Abfalls für das Recycling einsammelt.
Für die intelligente Stadt wären allerdings Sensoren und Kameras nötig gewesen. Diese hätten das Verhalten der Bewohner überwacht und zum Beispiel darüber Daten gesammelt, wie sie ihre Haushaltsgeräte nutzen, die Straße überqueren oder mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren. KI-gesteuerte Computer hätten diese Informationen dann mithilfe von Algorithmen analysiert, um „Angebot und Nachfrage besser aufeinander abzustimmen“ und so die Stadt lebenswerter machen zu können.
Das Projekt wurde vom Google-Ableger als „die Zukunft der nachhaltigen Entwicklung“ gepriesen. Skeptiker dagegen bezeichneten die intelligente Stadt als eine Orwell'sche Datenklau-Dystopie. Der ehemalige BlackBerry-Mitbegründer Jim Balsillie sowie der frühe Google- und Facebook-Investor Roger McNamee nannten das Projekt „ein Beispiel für den Überwachungskapitalismus“.
Die kanadische Bürgerrechtsvereinigung Canadian Civil Liberties Association strebte sogar eine Klage wegen Verletzung der Datenschutzrechte gegen Waterfront Toronto an, die dem Projekt allerdings ebenso kritisch gegenüberstand. Zwar bestritt Sidewalk Labs vehement, die gesammelten Daten für schändliche Zwecke zu verwenden, beendete aber schließlich die Zusammenarbeit. Als Begründung wurde nicht der weit verbreitete Widerstand, sondern die COVID-bedingte wirtschaftliche Unsicherheit genannt. Im Februar 2022 kündigte die Stadt Toronto Pläne für ein neues Bauvorhaben im betreffenden Stadtteil an.
In den 1920er-Jahren wurde die Kautschukproduktion vom Britischen Weltreich kontrolliert. Das verärgerte Henry Ford, dessen gleichnamiges Unternehmen einen enormen Kautschuk-Bedarf für die Herstellung von Reifen und anderen wichtigen Autoteilen hatte. Die Antwort des US-amerikanischen Autopioniers auf die künstlich hochgehaltenen Preise der Briten war die Gründung einer eigenen latexproduzierenden Modellstadt tief im brasilianischen Amazonas-Regenwald.
Ford gründete auf einem 10.000 Quadratmeter großem Stück Land, das er zuvor von der brasilianischen Regierung erworben hatte, 1928 die auf den Namen Fordlandia getaufte Planstadt nach US-amerikanischen Vorbild. Sie war für rund 10.000 einheimische Arbeiter ausgerichtet und wurde mit Häusern, Schulen, einem Krankenhaus, einer Bibliothek, einem Hotel und Freizeiteinrichtungen wie einem Schwimmbad und einem Golfplatz ausgestattet. Das markanteste Wahrzeichen sollte der hoch aufragende Wasserturm sein.
Allerdings war die Modellgemeinschaft im Regenwald von Anfang an problembehaftet. Die einheimischen Arbeiter, die im Vergleich zu den amerikanischen Vorarbeitern in schlechteren Unterkünften untergebracht waren, rebellierten gegen die strengen Regeln. So war für sie Alkohol, Tabak, vorehelicher Geschlechtsverkehr und sogar das Fußballspielen verboten. Außerdem mussten sie unbekannte amerikanische Lebensmittel wie Haferflocken, Vollkornbrot, Hamburger und Dosenpfirsiche essen.
Die Spannungen eskalierten 1930 in einem Aufstand, der sich gegen die Art und Weise richtete, wie das Essen in der Hauptcafeteria serviert wurde. Aber auch wirtschaftlich ging es mit der Kautschukproduktion bergab. Die Amerikaner – kaum Ahnung von der örtlichen Ökologie – pflanzten die Gummibäume auf den Plantagen zu dicht beieinander, sodass die Pflanzen viel anfälliger für Krankheiten und Schädlingsbefall waren.
Nicht ein einziger Tropfen Latex aus Fordlandia wurde in einem Ford-Auto verarbeitet. Die Plantage wurde 1934 aufgegeben und der Betrieb ins knapp hundert Kilometer entfernte Belterra verlegt. Weil sich auch dort kein Erfolg einstellte, verkaufte Ford 1945 seine Kautschukinteressen mit einem enormen Verlust an die brasilianische Regierung. Fordlandia, das jahrzehntelang leer stand, erlebte in den vergangenen Jahren eine Art Aufschwung und zählt heute rund 3.000 Einwohner.
Bei ihrer Einweihung im Jahr 1960 wurde Brasília als Wunder der Moderne gefeiert. Nach nur 41 Monaten Bauzeit löste die komplett neu errichtete Stadt Rio de Janeiro als neue brasilianische Hauptstadt ab. Schutzpatron ist Don Bosco. Der italienische Heilige hatte 1883 einen prophetischen Traum von einem utopischen Ort einer neuen Zivilisation, dessen Koordinaten ganz in der Nähe der Planmetropole liegen.
Die Verlegung von Brasiliens Hauptstadt nach Brasília hatte vor allem zwei Gründe. Zum einen sollten so eventuelle Angriffe auf den Regierungssitz vom Meer aus vereitelt werden. Zum anderen wollte man so die Menschen von der überfüllten Küste in das dünn besiedelte Landesinnere ziehen. Die von Stadtplaner Lúcio Costa entworfene Stadt Brasília gilt als ein Vorzeigeobjekt für die charakteristischen Bauten des Architekten Oscar Niemeyer.
Der Stadtgrundriss erinnert ein wenig an die Form eines Flugzeugs. Das Zentrum oder der „Rumpf" besteht aus der Monumentalachse aus zwei überbreiten Alleen und ist von einem riesigen Park flankiert. Die „Flügel“ mit den zahlreichen Hochhäusern könnten die Wohnachse darstellen und eine Anspielung auf Le Corbusiers nicht realisierte Ville Radieuse sein.
Von kunstverständigen Kritikern und Architekten wie Norman Foster, der Niemeyers Gebäude als „ergreifend schön“ beschreibt, wird Brasília wegen seiner charakteristischen Architektur geliebt. Menschen, die tatsächlich in der Stadt leben und arbeiten müssen, bezeichnen die Bauten der Stadt als seelenlos. Und das ist nicht das einzige Problem mit dieser künstlichen Stadt. Die Straßen im Zentrum sind eher für Autos statt für Fußgänger konzipiert und wirken leblos und ohne jeden Charakter.
Eigentlich war Costas utopischer Plan, eine Stadt für alle zu schaffen. Alle Gesellschaftsklassen sollten in Brasília friedlich miteinander leben und arbeiten. Ein Konzept, das nicht ganz aufging. Überbevölkerung, hohe Kriminalitätsraten, das tägliche Verkehrschaos sowie die große soziale Ungleichheit – die Armen leben in düsteren Favelas am Stadtrand – macht Brasília nicht unbedingt zu einer Stadt, in der man gerne leben möchte.
Magnitogorsk wurde für den sowjetischen Diktator Josef Stalin als erste vollständig geplante Stadt der Welt entworfen. Die 1929 gegründete Mono-Stahlindustriestadt wurde entlang des Ural-Flusses am Fuße des eisenerzreichen Gora Magnitnaya („Magnetberg“) erbaut und als sozialistisches Arbeiterparadies angepriesen. Aber es wurde zur Hölle auf Erden.
Ironischerweise verließen sich die sowjetischen Behörden bei der Verwirklichung von „Mutterlands stählernen Herzens“ auf den kapitalistischen Erzfeind Amerika und beauftragten US-Ingenieure mit der Planung des Hauptmetallwerks. Und während dieses in rasantem Tempo fertiggestellt wurde, nahm der Rest der Stadt nur sehr langsam Gestalt an. Jahrelang mussten die Arbeiter entsetzliche Lebensbedingungen ertragen.
Sklavenarbeiter – meist Strafgefangene und Bauern, die von ihren Höfen vertrieben worden waren – machten den Großteil der frühen Arbeitskräfte aus. Sie hausten in von Ungeziefer verseuchten Zelten und behelfsmäßigen Baracken. Im Winter mussten sie der strengen Kälte und im Sommer der glühenden Hitze sowie Staubstürmen trotzen. Hinzu kamen chronischer Hunger und Krankheiten wie Typhus und Scharlach. 1939 gab es in der Stadt mit ihren mittlerweile 200.000 Einwohnern nur ein einziges Krankenhaus.
Magnitogorsk war der größte Stahllieferant des Landes für die Kriegsmittelproduktion und spielte somit im Deutsch-Sowjetischen Krieg eine entscheidende Rolle. Viele der – meist minderwertigen und unansehnlichen – Gebäude wurden erst nach dem Zweiten Weltkrieg errichtet. Dafür gab es aber ein paar wenige Annehmlichkeiten wie Gemeinschaftsbäder, Kantinen, Bibliotheken und Kinos. Lebensmitteleinkäufe wurden von den Bewohnern oft mit einer Großjagd verglichen, da es meist kaum etwas zu kaufen gab.
Zu den ohnehin schon miesen Lebensbedingungen kam noch die schockierend hohe Luftverschmutzung. Im Laufe der Jahrzehnte haben die Stahlwerke der Stadt Hunderttausende Tonnen Industrieabfälle freigesetzt, darunter 68 bekannte Giftstoffe wie etwa Eisen- sowie Stickstoffoxid und Blei. Die Luftverschmutzung ist auch aktuell noch so hoch, dass nur eines von zwanzig Kindern im Ort gesund zur Welt kommt, und auch die Krebsrate ist beunruhigend hoch.
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Die „Reichshauptstadt“ oder „Germania“ war Adolf Hitlers gigantomanischer Plan für die Neugestaltung Berlins. Seine „utopische“ Vision einer imperialen Metropole, sollte „nur mit dem alten Ägypten, Babylon oder Rom vergleichbar“ sein. Der Name „Welthauptstadt Germania“ wird übrigens erst seit der Nachkriegszeit verwendet, Hitler selbst soll diese Wörter nie als eine Begriffseinheit verwendet haben.
Albert Speer war Hitlers favorisierter Architekt. Er entwarf die monströse Neugestaltung Berlins, die die Zerstörung von bis zu 100.000 Wohnungen und unzähligen anderen Gebäuden zur Folge gehabt hätte. An ihrer Stelle sollten verschiedene kolossale Bauwerke eine überbreite Prachtstraße säumen, für dessen südliches Ende ein riesiger Triumphbogen geplant war.
Zentrum der Stadt, die in der dystopischen Amazon-Fernsehserie „The Man in the High Castle“ zur Filmrealität wurde, sollte die Große Halle werden. Das wichtigste Gebäude der Germania-Planung war für 180.000 Menschen vorgesehen. Ihre geplante Kuppel wäre 16-mal höher als der Petersdom im Vatikan gewesen – und angeblich so hoch, dass sich in ihrem Inneren Wolken hätten bilden können. Da Speer Straßenbahnen und Ampeln ablehnte, wäre ein täglicher Verkehrswahnsinn in der Welthauptstadt nach römischem Vorbild unvermeidlich gewesen.
Das Fertigstellungsjahr für Germania wurde auf 1950 festgelegt. Hitlers Hausarchitekt Speer plante auch die monumentale Neue Reichskanzlei (im Bild), die in Teilen bereits 1939 eingeweiht werden konnte und die 1953 gesprengt wurde. Das Haus des Fremdenverkehrs, dessen Entwurf vom Regierungsbaumeister Theodor Dierksmeier stammte, wurde nach dem Krieg abgerissen. Der Schwerbelastungskörper – heute auch als Naziklotz bekannt – steht dagegen noch. Mit ihm sollte die Bodenbelastung durch den Nazi-geplanten Triumphbogen simuliert werden.
Da Berlin inmitten einer Sumpflandschaft auf Sand gebaut wurde, hielt der Boden dem Druck nicht stand. Der Betonzylinder sackte fast 20 Zentimeter tief ab. Wahrscheinlich wären auch einige andere monumentale Bauwerke Germanias nicht tragfähig gewesen. Tragischerweise starben Zehntausende von Zwangsarbeitern, die in den Steinbrüchen die Steinquader für die neue Stadt gewinnen mussten.
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